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Irgendetwas muss ihn geweckt haben. Ausgestreckt bleibt er in seinem Schlafsack liegen und lauscht den Geräuschen in seiner Umgebung. Nur wenige Meter entfernt von der Stelle, an der er sein Lager aufgeschlagen hat vernimmt er ein leises Knacken im Unterholz, kurze Zeit danach eine Eule, die ihren Gesang für die anstehende Nacht erprobt. In weiter Ferne das stetige und stumpfe Rauschen sich voranschiebender Autos. Ansonsten nichts als Stille, eine Stille von der er meint, sie so jahrelang nicht mehr gehört zu haben. Langsam richtet er seinen erschöpften Körper auf, schiebt mit der linken Hand einige der Äste beiseite, die den Eingang seiner windschiefen Behausung ausmachen, und reckt seinen Kopf hinaus in die kalte Luft des anbrechenden Abends. Vor ihm ziehen sich kilometerweit Felder über die abfallenden Hügel hinweg, unterbrochen nur von einigen wenigen Häusern, Höfen, Straßen, die verstreut in der Landschaft liegen. Darüber das sanft rosafarbene Band der untergehenden Sonne. Zu seiner Linken, bereits im Halbdunkel liegend, die Lichter einer Kleinstadt. Wie lange er wohl geschlafen hat? Seit vier Tagen nun ist er unterwegs. Seinen Berechnungen zufolge müssten es nochmal so viele Tage sein, bis er die schützenden Berge des Thüringer Waldes erreicht. Ob seine Kameraden die Anzeichen auch gelesen haben? Werden alle am verabredeten Ort sein? Ob Herma auch da sein wird? Soweit er sich erinnern kann wurden die Dieseltanks erst vor wenigen Wochen durchgeprüft und aufgefüllt. Noch bevor der Tag ganz seinem Ende zugeht, das letzte Licht entschwindet, begibt er sich entlang des Waldsaumes, auf die Suche nach trockenem Holz. Nachts wird es kalt werden.

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Rucksack (min. 50 Liter)
Zelt in Tarnfarben
Isomatte
Schlafsack
Armeegeschirr
Armeekocher
Wasserfilter (falls man kein Wasser abkochen kann, oder Chlortabletten)
Notfallnahrung
Notangelset
Seil
Taschenlampe
Feuerzeug
Messer und Machete
Regenumhang Tarnfarben
Stiefel warm und bequem (zu Hause einlaufen!!!!)
Thermohose und Thermojacke Tarnfarben
Wechselwäsche
(SEHR wichtig)
Kompass
eventuell Funkgeräte (einen Satz)
Benzin (zu Hause lagern)
Solarladegerät für Handy
Spezielles ;)

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Weit vor Anbruch des neuen Tages verlässt er seine rudimentäre Behausung, wischt das Titaniumgeschirr, das dort vor dem Eingang liegt, mit einem Lappen ab und packt es in den Rucksack zu seinen anderen Habseligkeiten. Über Nacht ist das Feuer zu einem schwarz-silbern glänzendem Haufen herunter gebrannt.
Er verwischt seine Spuren, verstreut die Asche im Wind und packt eine leere Konservendose - Erasco Feuertopf - die dort in der Nähe des versenktem Grases liegt, in eine Plastiktüte, und macht sich auf in Richtung Südost, dorthin, wo er am Vorabend meinte die Lichter einer Stadt erkannt zu haben.

Zur Dämmerung tritt er aus einer Baumgruppe und blickt auf einen Hof mit verstreuten Stallungsgebäuden und einem baufälligen Schuppen. Links eine Koppel, der zu Matsch zertrampelte Boden zu dieser Uhrzeit noch traurig leer. Ein Hund schlägt an, verstummt nur kurze Zeit später und fällt scheinbar zurück in seinen Schlaf. Sein Blick schweift über die Stallungen hinweg zum Wohnhaus hin. Alles ist still. Vorsichtig überquert er einen mit Schutt geschotterten Platz, lässt die Koppel links liegen, streift dann die Rückwand des Schuppens, und durchquert einen Streuobsthain der sich dort am Rande des Gehöfts entlangzieht. Alte, lange nicht beschnittene Baumkronen über hohem Gras. Am Ende des Haines angelangt, beugt er sich unter den tiefhängenden Ästen einer Haselnuss hindurch, hinein in ein Dickicht aus Sträuchern und Büschen. Mit einem weit ausholendem Schritt überquert er einen kleinen Bach der dort trüb und behäbig durchs Gestrüpp fließt, legt sich an dessen Ufer bäuchlings ins schützende Unterholz und beobachtet die Landstraße die hin zur Stadt führt. Nur wenige der Häuser sind bereits erleuchtet. Im Schein eines Hoflichtes steigt ein Mann in roten Arbeitshosen in ein Auto, steuert seinen Octavia müde aus der Stadt hinaus, in Richtung Norden. Wahrscheinlich die Frühschicht im Werk Schkeuditz, denkt er bei sich. Weitere Minuten vergehen, regungslos liegt er im klammen Gras und betrachtet die vor ihm liegende Ansiedlung. Nichts scheint sich zu rühren. Er beschließt näher heran zu gehen, tritt aus den Büschen, hinaus, der Straße entgegen und folgt dann einem spärlich bewachsenem Graben, der dort am Rande des Asphalts der Straße entlang verläuft. Plötzlich bemerkt er wie sich an der weißen Wand eines Giebels der immer näher heranrückt ein magentafarbenen Lichtschimmer nach oben zieht. Er hält inne, setzt sich ins lange Gras und tastet mit der rechten Hand in seinen Hosentaschen. Ein paar wenige Münzen, scheinbar sein letztes Geld. Ansonsten nur noch die Visa Gold Card der Hanseatic. Normalerweise sollte zu dieser Zeit bereits jemand im Büro sein. Ob sein Vorschlag zur Überholung des Order- und Controllingsystems wohl angenommen und umgesetzt wurde? Er könnte hinter den beiden Häusern vorbei, an deren Hecken entlang, in den Spielplatz hinein, der dort bunt zwischen den Häusern hervorblitzt. Dann müsste er schon fast an der Telefonzelle sein. Wenn er es richtig anstellt, würde ihn wohl niemand bemerken.

Leise lässt er die gläserne Tür hinter sich zufallen, noch einmal blickt er um sich und kramt dabei in den Hosentaschen nach dem Kleingeld. Der schrill metallene Klang des Münzgeldes, das den dafür vorgesehenen Schlitz hinab fällt, lässt ihn zusammenfahren. Zögerlich wählt er die Nummer der Firma, atmet tief ein. Ein kurzes Knacken in der Leitung, dann der Signalton des Freizeichens. Plötzlich fällt ihm ein, dass wahrscheinlich letzte Woche die Geschäftszahlen veröffentlicht wurden. Wieder ein kurzes Knacken, diesmal am anderen Ende der Leitung, „DH Consulting & Solutions GmbH, Sekretariat Herr Dr. Blaier. Wie kann ich helfen?“ In seinem Kopf beginnt sich alles zu drehen. Hastig hängt er den Hörer ein.
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I roll out my blanket.
Is this the right place,
taking up its post among
those line of trees
I start a fire.
crack open a can of beans.
How you feel tonight.
I hold my breath.
I feel warm. I am hopeless.
Still this place is hope

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Berlin, Februar 2016. Mit einem Freund sehe ich in einem Neuköllner Kino Iñárritus Revenant. Teil des Films sind gleich mehrere Shots, die man eigentlich als eine Variation ein und desselben Themas bezeichnen könnte, und die in der Dramaturgie des Filmes eine gewichtige Rolle einnehmen, das Tempo des Filmes mitbestimmen. Beinahe körperlich beeindruckt hatten mich diese Szenen, Szenen in denen es dem von Leonardo DiCaprio gespielten Hugh Glass endlich gelingt ein Feuer zu entfachen. Die unwirtliche Natur, vielleicht der eigentliche Protagonist des Films, im Widerspiel mit dem vom Menschen gemachten Feuer. Gerade einem Fluss entstiegen, in triefend klammen Gewändern im nassen Sand des Ufers liegend, wird mit letzten Kräften unterhalb eines Felsvorsprungs ein Feuer entzündet. Auch bei mir, im warmen Plüsch des Kinosessels, entschwindet so endlich die shivering cold die zuvor von der Leinwand auf mich übergegangen war.
Zugegebenermaßen haben mich solche Szenen, egal ob in Büchern oder in Filmen, schon immer angezogen. Momente in denen ein Lager aufgeschlagen wird und alles zur Ruhe kommt, eine Dose Bohnen über dem Feuer erwärmt wird, sich flüsternde Gespräche einstellen, zum Heulen des Windes eingeschlafen wird. Ein Innehalten innerhalb einer Umgebung die dem Menschen nicht wohlgesonnen ist. Das, was einem von außen entgegenschlägt soll, für eine kurze Nacht fernbleiben. Ich frage mich warum ich bereits in meinen jüngsten Jahren auf die Suche nach eben solchen Szenen gegangen bin, in Abenteuerromanen und -filmen jenes Moment von Geborgenheit suchend, das sich bei den Protagonisten jener Erzählungen scheinbar erst in Abgrenzung zur der Hatz einstellen mag, auf der sie sich eigentlich befinden, die sie eigentlich umgibt. Verwunderlich, müsste man doch eigentlich meinen, dass wir als Kind von solch einer Hatz noch gar nichts mitbekommen, ist sie doch, zumindest für viele der Menschen mit solch einem wohl situiertem Hintergrund wie der meinige, eher in der Welt der Erwachsenen anzusiedeln. Und doch: ich meine, dass uns damals schon die Fragilität jener Gebilde bewusst war, die wir Ast an Ast legend bauten. Uns jene Augenblicke, die wir gemeinsam, aneinander gerückt im Schein des Feuers teilten, schon als eine flirrend aber doch zerbrechliche Verheißung vorgekommen sein müssen, die wieder vergehen musste.

Seil – Seil ist nicht Seil. Ich habe gute Erfahrung mit Reepschnur gemacht. Dehnung im Sturm nicht feststellbar. Ist relativ günstig und ist im Wald Gold wert. Leider nicht in Tarnfarbe erhältlich. Alternativ die Kommandoseile von ASMC.

Wer sich einen Bogen zulegen möchte sollte sich über 2 Sachen im Klaren sein. 1. Ein Compoundbogen hat zwar mächtig Bums und ist sehr Zielgenau, aber man sollte min. 800€ einplanen. O.k. es gibt billigere, aber wer billig kauft kauft zweimal. Und außerdem kann man im Wald bei einem Sehnenriss das gute Stück wegwerfen. 2. Bei herkömmlichen Bögen (Lang- oder Recurvebögen) muss man: ÜBEN ÜBEN ÜBEN. Ist nicht ganz so einfach, glaube mir. Doch kann man eine gerissene Sehne schnell ersetzen!

Messer und Machete – Klar, aber auf Qualität achten.
Vor einigen Monaten hatte ich damit angefangen mich auf den Youtubekanälen neurechter Prepper aufzuhalten. Eine traurige Faszination die ich über mehrere Wochen nicht wieder loswerden sollte. Auch auf jenen Kanälen wird eine Begeisterung für Lager, Feuer, shelter propagiert. Stumpf penible und handfeste Lagerromantik. Ich fühle mich ertappt, als ob ich einer Sache auf den Leim gegangen wäre, und wie so oft wenn plötzlich Themen von der vornehmlich falschen Seite vereinnahmt und besetzt werden, beginnt bei mir eine Prozess des Überprüfens und Abgleichens. Heute denke ich mir: vielleicht ließe sich jener von Preppern heraufbeschworenen Angst und der daraus resultierenden Notwendigkeit zur Abhärtung das fragile Moment meiner ureigenen Interpretation entgegenhalten. Wo dort ein Urzustand als gefährdet erachtet wird, den es zu verteidigen gilt, drängt die Situation hier zumindest auf eine vielleicht ganz andere Zukunft hin, im Sinne einer Sehnsucht nach einem Zustand der sich doch endlich einstellen, zumindest für einen kurzen Moment verweilen soll, und dann doch wieder vergehen muss. Fragil, nicht bleibend.
Und am Tag darauf dann, geht die Hatz von Neuem los. Zurück bleibt ein Haufen Asche, plattgedrücktes Gras.

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Impressum

a shelter left, a can cracked open, a blunt machete
by Philine Kuhn and Jonathan McNaughton is part of the exhibition "Are We Not Plunging Continuously" by the Postdocumenta Project of ASFA Athen and HGB Leipzig

Photographs by Philine Kuhn
Text by Jonathan McNaughton
Translation: Elizabeth Gerdeman
Coding & Graphic Design Insa Deist

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